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Fakultät Kulturwissenschaften

Tipps: Bilingualität

Du sprichst mehrere Sprachen? – Dann bist du nicht allein!

Mehrere Sprachen zu sprechen, ist in vielen Ländern der Welt ganz normal: Es gibt einheimische Sprachen, vielleicht zusätzlich noch eine oder mehrere offizielle Landessprachen und dann sprechen fast alle noch Englisch. Diese Mehrsprachigkeit ist ganz natürlich. Auch in Deutschland ist es längst keine Ausnahme mehr, dass Kinder mit einer oder mehreren Sprachen aufwachsen. Laut dem Statistischen Bundesamt leben in Deutschland rund 17,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die zwei oder sogar mehrere Sprachen sprechen (Stand 2017). Trotzdem herrscht der Glaube, dass Zwei- oder Mehrsprachigkeit eher einen Ausnahmenzustand bedeuten: Es gibt zum Beispiel wenig bilinguale Einrichtungen (insbesondere Grund- und weiterführende Schulen), dafür bestehen aber viele Vorurteile über die Zwei-/Mehrsprachigkeit von Kindern und Erwachsenen.

Code-Switching – kein Problem!

Ein Mythos, der sich hartnäckig in der Gesellschaft hält, ist der des so genannten Sprachwechsels (in der Fachsprache „Code-Switching“ genannt). Viele vermuten, dass Kinder, die manchmal in der einen, manchmal in der anderen Sprache sprechen – besonders, wenn sie dies innerhalb oder in aufeinanderfolgenden Sätzen tun –Probleme in einer der beiden Sprachen haben. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen, dass der Sprachwechsel eine besonders hohe Kompetenz abbildet: Wenn ein Kind (oder ein Erwachsener) es schafft, innerhalb kurzer Zeit zwischen zwei (oder mehreren) Sprachen zu wechseln, bedeutet dies, dass es in beiden Sprachen sicher ist und sie gut beherrscht. Während des Wechsels arbeitet das Gehirn also besonders intensiv. Es ist daher kein Fehler oder gar ein Zeichen von Schwäche oder Verwirrung, so wie es häufig noch fälschlicherweise vermutet wird. Bilinguale Kinder sind nämlich nicht zwei monolinguale Kinder in einem – sie müssen NICHT in beiden Sprachen jedes Wort kennen oder übersetzen können. Häufig entwickelt sich der Wortschatz eines Kindes nämlich bereichsspezifisch: In der einen Sprache kennt das Kind Wörter des einen Themas z.B. aus dem Alltag, in der anderen Sprache vielleicht Wörter eines anderen Themas, z.B. aus dem Schulkontext. Dies ist ganz normal!

Und wie funktioniert bilinguale Erziehung?

Nicht nur Kinder von Eltern, die selbst eine andere Sprache als Deutsch sprechen, können zweisprachig aufwachsen. Auch einsprachige (monolinguale) Eltern können ihr Kind bilingual erziehen. Das Kind wird – wie häufig falsch vermutet – eventuelle Fehler der Eltern in der Sprache NICHT übernehmen, wenn es ausreichend Kontakt (z.B. durch Spielgruppen, bilinguale KiTas o.ä.) zu anderen Sprechern der Sprache hat. Dies können Eltern, Erzieher oder andere Kinder („Peergroup“) sein. Es ist übrigens dabei nicht zwingend notwendig, dass ein Elternteil die eine und das andere Elternteil die andere Sprache spricht (heißt die Sprachen strikt getrennt werden). Studien haben gezeigt, dass es sogar am besten für die sprachliche Entwicklung des Kindes ist, wenn beide Eltern beide Sprachen mit dem Kind sprechen (wenn sie es denn können). Hauptsache, das Kind bekommt genügend Input. Hierbei ist es wichtig, dass das sprachliche Umfeld der Kinder möglichst natürlichvielfältig und authentisch ist. Daher ist es nicht ratsam, dem Prinzip ein Elternteil spricht immer nur eine Sprache zu folgen, da es für das Kind in vielen Situationen bedeutet, eine andere Sprache als die Umgebung sprechen zu müssen. Zum Beispiel, wenn eine tschechisch-deutsche Mama mit ihrem Kind in einer deutschen Bäckerei einkauft, ist es nur natürlich, dass Kind und Mama sich auf Deutsch unterhalten. Tschechisch in einer solchen Situation zu erzwingen, ist unnatürlich (und vielleicht auch unhöflich) und bringt das Kind außerdem in eine Außenseiterposition. Es kann nachhaltig sogar zur Verweigerung der Minderheitssprache führen! Kinder haben nämlich richtig gute Antennen für solche unnatürlichen Situationen und empfinden sie auch als solche. Viel ratsamer, als eine Sprache starrsinnig durchsetzen zu wollen, ist die Sprache zu wählen, die einem spontan in den Sinn kommt, mit der Umgebung harmoniert und auch, wenn es so kommt, locker zwischen Sprachen zu wechseln. So können Kinder Sprache in einer natürlichen, authentischen Umgebung erlernen und sie auch so nutzen. Dies ist auch der wichtigste Punkt, den Eltern bei der bilingualen Erziehung beachten müssen: Dass sie dem Kind möglichst viele Situationen bieten, in der das Kind Sprache mitbekommt – egal ob eine, zwei oder mehr Sprachen. Je mehr das Kind hört und angeregt wird, selbst zu sprechen, desto besser werden sich ALLE Sprachen entwickeln. Bekommt das Kind jedoch nur wenig sprachlichen Input, kann es Sprachen auch wieder verlernen. Fernsehgucken gehört übrigens NICHT zum sprachlichen Input, da es kein direkter Kontakt mit Menschen ist. Nur durch den direkten Kontakt mit Menschen können Kinder Sprache lernen! Dementsprechend können auch Kinder von Eltern, die nur wenig oder gar kein Deutsch können, die deutsche Sprache gut lernen, wenn sie genügend Kontakt mit anderen deutschen Kindern oder Erwachsenen bekommen, mit ihnen spielen und sich unterhalten.

Bilinguale Kinder – kleine Genies!

Bilinguale Kinder wissen häufig schon sehr früh (durchschnittlich mit 1,5 Jahren, manchmal sogar früher), mit wem sie welche Sprache sprechen können. Daher kann es vorkommen, dass sie mit der deutschsprachigen Mama Deutsch reden, obwohl die sie in Englisch angesprochen hatte: weil sie eben wissen, dass Mama sie auch so versteht. Diese Sprachwahl nehmen die Kinder immer bewusst vor. Sie wählen ihre Sprache also je nach Ansprechpartner, Situation, Ort oder Thema aus.

Muss ich mir Sorgen machen, dass mein Kind langsamer Sprachen lernt?

Häufig wird vermutet, dass bilinguale Kinder später als monolinguale Gleichaltrige anfangen zu sprechen. Die Wissenschaft hat jedoch festgestellt, dass sich die Sprache von bilingualen und monolingualen Kindern genau zeitgleich entwickelt. Das heißt, dass ein bilinguales Kind im gleichen Alter in mindestens einer seiner Sprachen genauso weit entwickelt wie ein monolinguales Kind ist. Die zweite Sprache kann dabei vielleicht noch weniger entwickelt sein und erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgebaut werden (dies ist ganz normal!).

Die gemeinsamen Zeitfenster der Sprachentwicklung

Bilingualer Erstspracherwerb (ESE)

Monolingualer ESE

6-12 Monate: Brabbeln (ba-ba, ma-ma)  
Ab 1 Jahr: Wort- und Satzverständnis in beiden Muttersprachen Ab 1 Jahr: Wort- und Satzverständnis in der Muttersprache
1 - 1,5 Jahre: Wort(ähnliche)-Produktion in einer oder beidenMuttersprachen 1 - 1,5 Jahre: Wort(ähnliche)-Produktion in der Muttersprache
1,5 - 2 Jahre: Wortschatzexplosion  
Ab 2 Jahre: Wortkombinationen und längere Äußerungen  
2,5 - 3 Jahre: Produktion von kurzen, gammatikalischen Sätzen  
Ab 4 Jahre: komlexe Satzproduktionen  

Alle Sprachen sind wertvoll!

Ein starkes Vorurteil, das sich immer noch in Deutschland hält, ist die Wertung von Sprachen: „Bildungssprachen (Englisch, Französisch, usw.) sind besser als Migrationssprachen (Türkisch, Polnisch, usw.)!“. Dies ist natürlich absolut nicht richtig! Die Leistung, die bilinguale Menschen (Kinder und Erwachsene) und ihr Gehirn erbringen, in dem sie mehrere Sprachen beherrschen, ist bemerkenswert – egal, welche Sprachen dies sind. Und dementsprechend sollten sie wertgeschätzt werden. Das heißt, es ist genauso toll und wertvoll, wenn ein Kind Russisch und Deutsch spricht, wie wenn ein Kind Englisch und Deutsch spricht. Diese Unterscheidung wird jedoch häufig noch gemacht. Dabei wäre es genauso wichtig, in bilingualen Kindergärten oder Grundschulen z.B. Arabisch-Deutsch zu unterrichten wie Französisch-Deutsch. Es geht also um die Norm, an der gearbeitet werden muss:
Alle Sprachen sind wertvoll und es ist nur zu fördern, dass Kinder mehrere Sprachen sprechen und auch zwischen ihnen wechseln können. Weil das Spaß und auch schlau macht!

 

 

Weitere Informationen auf Youtube

Mehr Informationen rund um das Thema Mehrsprachigkeit finden sich hier:

Youtube-Kanal des Psycholinguistics Laboratories